
Barfuß? Echt jetzt? –
Über den steinigen Weg der gesellschaftlichen Akzeptanz
Barfüßigkeit wird in westlichen Gesellschaften nach wie vor mit Skepsis betrachtet – ein kulturelles Tabu, das tief verwurzelt ist.
Noch vor zwei, drei Generationen war Barfußgehen Alltag – aus der Not heraus. Viele Kinder liefen barfuß, bis der erste Schnee fiel. Bei Kälte wärmten sie die Füße in warmen Kuhfladen. Heute undenkbar.
In anderen Ländern gehört Barfüßigkeit zum normalen Bild: In Südafrika laufen Kinder barfuß in Schuluniform auf dem glühenden Asphalt in die Schule.
In Europa war das Barfußgehen lange ein Zeichen von Armut, Ausgrenzung und Unfreiheit. Wer barfuß war, galt als arm, ungebildet oder sogar unzivilisiert. Schuhe hingegen standen für Status, Ordnung und Zugehörigkeit zur bürgerlichen Gesellschaft. Gefangene mussten oft barfuß sein; dies stand für den Entzug der Bürgerlichkeit. Diese Assoziationen wirken bis heute nach.
Auch psychologische und soziale Faktoren tragen zur Ablehnung bei. Füße werden oft sexualisiert, was Barfüßigkeit in der Öffentlichkeit mit Unsicherheiten belegt.
Gleichzeitig empfinden viele nackte Füße als unästhetisch oder unhygienisch – nicht aufgrund objektiver Kriterien, sondern aus erlernten Normvorstellungen. Die Ablehnung ist meiner Erfahrung nach bei der Nachkriegsgeneration besonders stark ausgeprägt.
Barfuß = auffällig = unangepasst
Und genau das ist das eigentliche Problem: Barfußgehen bricht mit Erwartungen. Es stört das Bild vom „zivilisierten Auftreten“. Und wer auffällt, läuft Gefahr, anzuecken. Deshalb verzichten viele lieber auf das, was sich für sie eigentlich gut anfühlt, was sie sich wünschen – um nicht unangenehm aufzufallen.
Aber genau da beginnt Freiheit.
Wer barfuß geht, tritt nicht nur auf Boden – sondern aus Konventionen heraus. Und ja, das irritiert.
Aus meinen Erlebnissen gibt es drei „Eskalationsstufen“;
- Die Blicke: Verwundert, irritiert, manchmal fast panisch. Wie? Barfuß in der Stadt? Im Supermarkt oder gar in der Kirche?
- Die Kommentare: Klassiker wie: „Ist das nicht zu kalt?“ oder „Das könnte ich nicht.“ werden einem selten mit ehrlicher Sorge – oft mit höflich getarnter Ablehnung entgegengebracht. Zwischen den Zeilen steht da oft nicht Neugier, sondern Unverständnis. Denn eigentlich meint man: „Warum tust du das? Und warum kannst du nicht einfach sein wie wir alle?“
- Die offene Ablehung ist richtig spannend und kann erstaunlich kreativ formuliert sein: „In unserem Restaurant liegen Glasscherben.“ Aha. Wirklich? Oder: „Es ist mir peinlich, mit dir Barfüßigen in der Stadt zu gehen.“ – alles schon selbst erlebt.
Barfüßigkeit wird also nicht nur körperlich, sondern auch gesellschaftlich „entblößt“. Sie steht sinnbildlich für eine Freiheit, die irritiert – weil sie an Grenzen rührt: zwischen Körper und Kultur, Natürlichkeit und sozialer Ordnung.
Aber auch das gibt es öfters: Sehr positive Reaktionen und Respekt für die Barfüßigkeit und den Mut, diese einfach zu leben. „Tolle Tattoos, schöne Füße – sie sollten immer barfuß gehen“.
Vielleicht ist das insgesamt auch gut so. Denn echte Akzeptanz beginnt da, wo wir aufhören, alles Ungewohnte reflexhaft abzulehnen.